Herdenschutzkonferenz 2022

Infolge der erfolgreichen Online-Tagung zum Thema Herdenschutz in Bayern, stellt LIFEstockProtect die Vorträge zur Verfügung.

LIFEstockProtect: Herdenschutz in Bayern, Südtirol und Österreich

Max Rossberg, verantwortlich für das Gesamtmanagement des Projektes gab einen Ein- und Überblick über das Projekt, die Partnerschaft innerhalb der Regionen Bayern, Osterreich und Italien. Er berichtete über Anforderungen an das Projekt und laufende oder abgeschlossene Projektpunkte. Wichtiger Schwerpunkt des Projektes ist die Vernetzung der Weidtierhalter, der Austausch und die gemeinsamen Fortbildungen mit Erfahrung und Wissensaustausch.

Rinderhaltung in Bayern

Siegfried Steinberger vom Bayerischen Landesamt für Umwelt gab einen guten Rundumblick zur Rinderhaltung in Bayern und deren Entwicklung gerade im Hinblick auf die Bedeutung der Weidehaltung. Allgemein ist ein Rückgang der Rinder Betriebe von knapp 40% in den letzten Jahren zu verzeichnen, im gleichen Zeitraum nahm die Stückzahl um 10% ab. Die Haltung der Tiere im Weidegang wird unter verschiedenen Verordnungen und für die tierwohlgerechte Haltungsform immer bedeutender. Es ergibt sich auch für die Rinderhaltung zunehmend die Auseinandersetzung mit fachgerechter Zäunung, Sicherheit für Mensch und Tier und dem Herdenschutz. „Born to graze“ auf der Abschlußfolie von Herrn Steinberger getitelte gut die Lebensweise der Rinder, die Bedeutung für deren Haltung und Umwelt. 

Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen (Rind/Wolf)

Dr. Igor Khorozyan, ehemaliger Mitarbeiter der Universität Göttingen und nun jetzt freier Berater für Säugertier Wissenschaft und Artenschutz, berichtete mit seiner Studie über die Effektivität von Herdenschutz bei Rindern gegenüber Wölfen. Dazu würden Ergebnisse aus verschiedenen Regionen zusammengetragen und ausgewertet. Dabei ging es nur um nicht letale Maßnahmen im Bezug auf Rinder (ohne Haltung andere Nutztiere). Der Einsatz von Herdenschutzhunden, Behirtung, Zäune, Abwehr durch Geräusche oder Flatterbänder und auch Kombinationen daraus wurden dazu betrachtet. Der Einsatz von Hirten und Hunden ist effektiv, allerdings spielen viele Faktoren dazu eine Rolle, u.a. das Herdenmanagement im Hinblick auf die Geburten auf der Weide.

Herdenschutz in der Mutterkuhhaltung

Norbert Böhmer, Landwirt mit Mutterkuhhaltung und Selbstvermarkter aus Oberfranken gab im Gesprach mit Moderator Martin Hermle einen Einblick in seinen Arbeitsalltag. Er arbeitet seit Übergriffen und Beunruhigungen in seinen Herden mit Herdenschutzhunden und gutem Zaunsystem. Er erzählte von den Anfängen, der Orientierung, den zahlreichen Lehrfahrten und Betriebsbesuchen bis hin zur herausfordernden Vergesellschaftung von Rind und Hund (auf Grund der vorausgegangenen Beunruhigungen). Auch die Information und Einbindung von lokalen Behörden, Gemeinde, Nachbarschaft und den immerwährenden Dialog hält Böhmer für unersetzbar. So kann Vorurteiler begegnet und diese geklärt werden. Heute leben Pyrenäenberghunde auf den Weiden und im Stall ganzjährig mit den Rindern. Herausfordernd und für nicht stämmbar hält Norbert Böhmer das freihalten des Herdenschutzzaunes. Die Zäune konnte sich der Landwirt, da innerhalb der Bayerischen Förderkulisse, fördern lassen, dennoch mit erheblichem zusätzlichen eigenen Kosten und Eigenleistung mit Unterstützung vieler Arbeitsstunden durch freiwillige Helfer von Wikiwolves.

Pferdehaltung in Bayern

Sabrina Ostfalk, Pferdebetrieb Oberfranken, gab als Pferdehalterin und in Stellvertretung für den Vereinigung Freizeitreiter Deutschland e.V./VFD Bayern einen Überblick der Pferdehaltungsformen in Bayern. Spannend war zu sehen, dass Bayern in der Anzahl der Pferdehaltungen anderen „typischen“ Pferde-Bundesländern kaum nachsteht. Die meisten Pferde werden nicht als Nutztiere im klassischen Sinn sondern für Sport, Zucht und Freizeit gehalten. Sie haben einen hohen emotionalen Wert für ihre Halter. Auch in der landwirtschaftlichen Flächennutzung spielt die Pferdehaltung durch Weiden, Futterflächen (Wiesen, Äcker) eine Rolle. Haltungsformen von Boxen- bis Offenstall wurden inkl Vor- und Nachteile dargestellt. Wie auch in der Rinderhaltung gewinnt die Weidehaltung zunehmend an Bedeutung. Im Hinblick auf Anwesenheit des Wolfes gab Ostfalk einige Punkte zu Bedenken und leitete damit unmittelbar zu den folgenden Referentinnen über.

Rinder und Pferde in Wolfsgebiet; Anpassung der Herden

Einen schönen zusammenfassenden Abschluss fand der Tag Herdenschutz in der Pferde und Rinderhaltung mit dem Vortrag von Simone Angelucci vom Nationalpark Majella in den Abruzzen. Hier leben 10 Wolfrudel, gleichzeitig weiden hier Schafe und Ziegen frei, begleitet durch Hirten, Hunde und zumeist Herdenschutzhunde. Übergriffe können nicht gänzlich verhindert werden, die Schutzmaßnahmen machen aber weiterhin eine Beweidung der Flächen möglich.

Pferdeverhalten bei Wolfspräsenz

Prof. Konstanze Krüger von der Hochschule Nürtingen-Geislingen ging auf das Verhalten von Pferden bei Wolfspräsenz ein. Zunächst beleuchtete sie das Verhalten und die Gefahren für wildlebende Pferde. 11 verschiedene Raubtierarten haben Pferde in ihrem Beutespektrum und stellen eine Gefahr für diese dar. Auch hier sind v.a. die Jungtiere und Fohlen gefährdet. Eine gute Herdenstruktur und aufmerksame erwachsene Tiere sind ein guter Schutz gegen Angreifer. Setzt man Hauspferden dem Geruch von Wölfen aus, zeigen sie eine erhöhte Aufmerksamkeit, aber keine messbare Erregung. Auch bei Wolfsgeheul steigen Herzfrequenz und Stresshormonspiegel nur minimal an. Es erfolgt eine rasche Gewöhnung. Die Rasse der Pferde spielt eine Rolle im Umgang mit Stressoren. Vollblüter reagieren stärker als Warmblüter. Allgemein ist zu bemerken, dass Pferde bei Beunruhigung (Geräusch, Wildpräsenz) ihren Abstand zueinander und die Bewegungsgeschwindigkeit verringern und aufmerksamer sind. Studien mit GSP Halsbändern und Wildtierkameras zeigen einen Einblick in deren Verhalten. In Gebieten mit Wolfspräsenz konnte in sieben Jahren Beobachtung keine merkliche Verhaltensänderungen oder Reaktionen (verschwitzte Tiere o.ä.), trotz Wolfsgebiet und Wildtierpräsenz, bei den Pferden auf Weiden festgestellt werden. Als Schutzmaßnahmen wurden Aufstallen über die Nachtstunden, abweisende Zäune und der Einsatz von Herdenschutzhunden als effektivste Maßnahme herausgestellt.

Projekt Pferd und Wolf VFD

Sonja Schütz vom VFD Bundesverband stellte das Projekt Pferd und Wolf vor zu dem sich unter Euro Large Carnivore mehrere Verbände und Institutionen zusammengeschlossen haben. Mit Informationsarbeit soll das Wissen um Wolf, sein Verhalten und die Schutzmaßnahmen für Pferde wissenschaftlich fundiert und sachlich an Tierhalter weitergegeben werden. Es entstanden Videos, Informationsstand, Broschüre, Schulungen und Internetpräsenz. Die Rückmeldungen zeigen, dass die Mehrheit der Pferdehalter interessiert und aufgeschlossen für die Thematik Herdenschutz ist.

Herdenschutz Fördermöglichkeiten der EU über die 1. und 2. Säule GAP und ERDF

Katrina Marsden, adelphi, informierte über die EU Plattform für eine Koexistenz von Mensch und großen Beutegreifern und den komplexen Bereich der Herdenschutzförderung, Gelder und Möglichkeiten von Seiten der EU (GAP/Gemeinsame Agrarpolitik). Herdenschutz Förderung kann aus der Säule 2 zur Kofinanzierung abgerufen werden. Weideprämien, Material, Behirtung, Einsatz von Hunden (Kauf und laufende Kosten), Technische Hilfestellungen können finanziert werden. Die einzelnen Länder rufen die Optionen unterschiedlich ab. Neuerungen für 2023-2027 wurden vorgestellt.

Herdenschutz Umsetzung und Finanzierung in Frankreich

Pascal Grosjean, von der Direction regionale de iálimentation de lágriculture et la foret, schloss sich mit den Möglichkeiten der Förderung, dem Umgang und der Umsetzung in Frankreich an und zeigte hiermit ein Beispiel in welchem Umfang die Gelder verwendet werden können. Er ging dabei auch auf Wolfspopulation, Schäden, Herdenschutz und Wolfsmanagement ein. Seit 2019 müssen in Regionen mit hohem Wolfdruck mindestens zwei Schutzmaßnahmen umgesetzt werden (Herdenschutzhunde, Behirtung, elektrifizierter Zaun). 2021 wurden 3,5 Mio Euro an Schadensausgleich 8für alle Weidetierarten) ausgezahlt. Herdenschutzmaßnahmen werden für Schafe und Ziegen subventioniert. 30,42 Mio Euro wurden 2021 dafür bewilligt, in 44 Departements war dies 2021 möglich. 2022 sind 6 weitere Regionen dazugekommen. Der Abschuss von Wölfen ist nur nach strengen Kriterien erlaubt (keine zufriedenstellende Alternative, Erhalt des günstigen Erhaltungszustandes, Verhütung schwerer Schäden). 2021 wurden 112 Wölfe legal getötet. Zukünftig soll u.a. eine Datenbank für Herdenschutzhunde komplimentiert werden um mit diesen gezielt besser arbeiten zu können., das Monitoring der Wölfe soll verbessert werden.

Gesprächsrunde Herdenschutzförderung

Die Gesprächsrunde Herdenschutz-Förderung startete mit kurzen Überblicken aus den Regionen Südtirol (Konrad Pfattner, Amt für Bergwirtschaft), Bayern (Florian Thurnbauer, Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) und Österreich (Klaus Pogadl, Amt Salzburger Landesregierung). 

Herdenschutz an Deich und Steilhang

Prof. Markus Röhl (Hochschule Nürtingen) gab einen Einblick in das Projekt Herdenschutz an Deich und Steilhang (F+E Vorhaben; im Auftrag des Bundesamtes Naturschutz). Dazu wurden Betriebe mit herausfordernden Topographien oder Anforderungen (Tourismus) besucht und dokumentiert. Ein Bildvergleich zeigte die derzeitige Situation, dass Wolfsvorkommen in Deutschland primär in flachen (potentiell leicht schützbaren) Gebieten liegen. Mittelgebirge und Alpenraum sind in der Gesamtheit gesehen noch kaum von Wölfen besiedelt. Hang, Relief, Bodenbeschaffenheit aber auch touristische Nutzung sind Herausforderungen im Herdenschutz. Prof. Roehl stellte namentlich nicht genannte Betriebe mit Deich oder Steilhangflächen vor, deren Herausforderungen. Mögliche Lösungsansätze oder Erleichterungen wurden genannt (Erdung, Gräben, Einsprung, Warn App bei Wolfssichtung). Im Einzelnen wurden Vor- und Nachteile oder auch Begleiterscheinungen von Herdenschutzmaßnahmen und Förderung (Preise, Ansprüche Einsatz) aufgezeigt. Mit erhöhtem Aufwand ist auch auf Sonderstandorten, die zumeist auch aus Gewässerschutz und Naturschutzgründen beweidet werden sollten, möglich.

Zaunbau in schwierigem Gelände – das Beispiel Kleinrechenbergalm

Dr. Christian Mendel von der Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub stellte das Beweidungskonzept und die Herausforderungen auf einer Alm in Unterwössen vor. Hier haben sich vor Jahren Alpine Steinschafzüchter zusammengefunden, um Jungböcke artgerecht aufzuziehen und so u.a. die Leistungskriterien der Zucht zu verbessern. Die Weideflächen wurden nach Herdenschutzkriterien gezäunt. Auch hier ist ein erhöhter Aufwand erkennbar (Pflege, Instandsetzung nach Winter etc.). Die Gemeinschaft der Züchter ermöglicht die Unterstützung und den gemeinsamen Aufwand bei Tier und Weidepflege.

Interview: Herdenschutz am Stilfser Joch

Einblick in die herausfordernde Beweidung am Stilfser Joch gab ein kurzweiliges Interview, geführt von Max Rossberg (European Wilderness Society) und Julia Stauder (Eurac) mit Schäfermeister Thomas Schranz (Tirol) und Almmeister Josef Ortler (Südtirol). Die Saison 2022 wurde mit einer Schafherde, einigen Ziegen, Herdenschutzhunden und einer Hirtin bewältigt. Schranz und Ortler berichteten über die Herausforderungen, vorarbeiten und Unwegsamkeit in Vorbereitung und Durchführung. Ohne große Zwischenfälle und Schäden verlief das Jahr gut. Dem Wolf viel ein Lamm, dass sich abseits der Herde befand, zum Opfer.

Hirtinnenleben

Die Hirtin Celia Martinez Aragon berichtete über ihren Weidegang und Hirtinnenleben am Stilfser Joch. Selbst nicht aus der Landwirtschaft kommend begeistert sie sich seit Jahren für diese Herausforderung, bildet sich fort und bringt ihr Wissen mit Nutztieren und Hunden weiter ein. Auch der Zusammenschluß und Austausch zwischen Stadt und Landbevölkerung ist ihr ein Anliegen.

AG Herdenschutzhunde e.V.

Der Vorsitzende der AG Herdenschutzhunde, Knut Kucznik, präsentiere seine Arbeit mit Herdenschutzhunden in Brandenburg inmitten der Wolfsgebiete. Herdenschutzhunde werden bei unterschiedlichen Weidetierarten von Huhn bis Pferd eingesetzt, eine besondere, aber mögliche, Herausforderung kann die Vergesellschaftung mir Rindern sein. Herdenschutzhunde funktionieren gut, dafür ist aber insbesondere eine gute Information, Ausbildung und Begleitung der Halter wichtig.

Freiwilligenprogramm Pasturs

Mauro Belardi, ELIANTE, berichtete über die Freiwilligenarbeit „Pastures“. Hier werden freiwillige ausgebildet und arbeiten dann in längeren Einsätzen unterstützend auf Weiden und Höfen mit. Kosten und Unterkunft für die Freiwilligen übernimmt der Tierhalter. Die Ausbildung und der Einsatz wird von ELIANTE organisiert. Voraussetzung ist, dass mindesten eine Herdenschutzmaßnahme bei der Nutztierhaltung umgesetzt wird. Die Helfer unterstützen im gesamten Tagesauflauf des Hirten. Auch die Kommunikation mit Touristen und das Zusammenbringen der Freiwilligen und der Schäfer ist wichtig und fördert so das gegenseitige Verständnis.

Mähroboter zum Elektrozäune abmähen

Oliver Häußler, Student an der Hochschule Weihenstephan/Triesdorf, präsentierte das Studenten-Projekt zum Einsatz von Mährobotern bei der Freihaltung von Weidezäunen. Zwei verschiedene Roboter Modelle kamen dabei zum Einsatz und wurden auf ihre Einsatzmöglichkeiten im Gelände getestet. Herausforderungen wie selbstständige Mähen entlang der Zauntrasse, Geländebeschaffenheit etc. wurden dargestellt. Eine nicht uninteressante Kalkulation der Kosten verglichen mit dem Arbeitseinsatz durch Freischneider wurden bilanziert. Weitere arbeiten and er Thematik können folgen, sofern Bedarf und Interesse aus der Landwirtschaft und den Tierhaltern bestehet.

Herausforderungen und Perspektiven im Spannungsfeld Weidetiere und Wolf

Abschließend stellte Dr. Hannes König das Bundeszentrum Weidetier und Wolf vor, dessen Aufgaben und Anliegen in einem bundesweiten Kontext Herdenschutz umzusetzen. Er ging auf die Entwicklung der Wolfspopulation ein, das Nahrungsspektrum der Wölfe. Ebenso ging es um Haltungsformen innerhalb der Bewirtschaftung mit Weidetieren, sowie deren Bedeutung. Die Schäden an Nutztieren betrugen 2021 3374 getötete, verletzte oder vermisste Tiere, primär Schafe. Die Konflikte sollen durch Zusammenarbeit verschiedener Akteure minimiert werden.