WANDERSCHÄFEREI ENTLANG DER ETSCH: LIFEstockPROTECT KOMPETENZZENTRUM AUF EXKURSION

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Vor kurzem besuchte der Hirtenlehrgang der Berufsschule für Landwirtschaft und Hauswirtschaft Salern, die auch Kompetenzzentrum von LIFEstockProtect ist, das Hirtenpaar Sandra und Daniel und ihr, zumindest für Südtirol, ganz besonderes Projekt. Thema und Inhalt des Schulungstags war die gezielte Weideführung und Dammpflege an den Ufern der Etsch. Das mittel- bis langfristige Ziel ist es, die Berufsfigur der Hirt:innen zu fördern und weiterzuentwickeln, indem ihre Rolle nicht nur im wirtschaftlich-sozialen, sondern auch im ökologischen Bereich aufgewertet wird. 

Daniel und Sandra betreiben seit Anfang des Jahres und in Koordination mit dem Amt für Wildbachverbauung eine Art Wanderschäferei entlang der Etschdämme zwischen Salurn und Lana. Auf diese Weise haben sie eine ganzjährig geführte Weidehaltung, die zwar durch die ständige Anwesenheit des Hirten mit seiner Herde beschwerlicher ist, es aber ermöglicht, die natürliche Vegetation auch im Winter zu nutzen und die Hirten- und Herdenschutzhunde das ganze Jahr über und nicht nur auf den Sommerweiden arbeiten zu lassen. Tatsächlich spielen die Hunde eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, die Herde zu führen und vor großen Beutegreifern zu schützen. Die erste Aufgabe wird einem Border Collie und vier Schäferhunden der Linien Lessinia und Lagorai anvertraut. Energische und brillante Rassen, die die Herde ständig umkreisen, um sicherzustellen, dass jedes Tier in der Nähe bleibt. Der Schutz des Viehs hingegen ist vier Pastori della Sila und einem Maremmano Abbruzzese anvertraut, die nur dann in Alarmbereitschaft gehen, wenn sie eine Gefahr wahrnehmen, und die restliche Zeit über in Ruhe bleiben. Die Zusammenarbeit zwischen Hüte- und Herdenschutzhunden und ihren Besitzern ist für das Herdenmanagement von grundlegender Bedeutung: Die Anwesenheit des Hundes und der Hirtin sowie andere Präventionsmethoden sind in der Tat der beste Weg, um mit großen Beutegreifern zu koexistieren (EU Kommission, 2022).  

Vorteile der geführten Weidehaltung

Die Weidewirtschaft wird jedoch oft als ein Beruf angesehen, der mehr mit der Tradition als mit einem echten Beruf zu tun hat. Über den Hirt:innenlehrgang möchte die Fachschule Salern dieses Bild angehen und ändern, indem sie spezifische Fähigkeiten vermittelt, die für ein nachhaltiges Weidemanagement grundlegend sind. Die geführte Weidehaltung hat nicht nur am Etschdamm viele Vorteile. Ihre Prinzipien sind auf alle Weidegebiete anwendbar: Durch eine sorgfältige Planung können sowohl Weidetiere als auch die Umwelt profitieren. So wurde unter anderem gezeigt, wie der Wechsel von genauen Kombinationen verfügbarer Pflanzenarten den Appetit der Tiere anregen und sie dazu bringen kann, nicht nur das zu fressen, was sie mögen, sondern auch das, was einfach da ist, selbst wenn es nicht besonders schmackhaft ist (Meuret et al., 2015). Gleichzeitig bringt diese Art der Beweidung Vorteile für die Biodiversität mit sich, vor allem hinsichtlich der Erhaltung offener Lebensräume, insbesondere wenn sie Teil eines Mosaiks heterogener Lebensräume sind (Fraser et al., 2022).


Die typischen Almlandschaften sind beispielsweise oft durch ein hohes Vorkommen von Borstgrasweiden (Nardion strictae) gekennzeichnet, die, wenn sie nicht ordnungsgemäß bewirtschaftet werden, in monotone Artengesellschaften übergehen. Das liegt daran, dass die prägende Pflanze dieser Pflanzengesellschaft, das Borstgras (Nardus stricta) in den frühen Vegetationsstadien schmackhaft ist, während es in den späteren Stadien, wenn es abgehärtet ist, eher gemieden wird. Die Erhaltung einer artenreichen Borstgrasweide wurde von der Habitat-Richtlinie als Lebensraum von gemeinschaftlichem Interesse eingestuft (Code 6230).

Das Vordringen von Sträuchern und Bäumen und die damit einhergehende Schließung offener Landschaften ist eine erhebliche Bedrohung für die biologische Vielfalt, die sich aufgrund der Aufgabe von Flächen immer weiter ausbreitet. Nach Burns et al. (2021) sind Vogelpopulationen der EU seit den 1980er Jahren um 20 % zurückgegangen, insbesondere bei Arten, die an extensiv bewirtschaftete landwirtschaftliche Flächen und Wiesen gebunden sind. Eine immense Bandbreite von Arten ist von der Erhaltung dieser Lebensräume abhängig, von der großen Anzahl an Vogelarten der offenen und halboffenen Landschaften wie z.B. dem Neuntöter (Lanus collurio) oder dem Wiedehopf (Upupa epops) über Insekten wie dem Apollofalter (Parnassius apollo) bis hin zu Reptilien wie der Staudeneidechse (Lacerta agilis). Der Schäfer trägt mit seiner traditionellen Tätigkeit seit Jahrtausenden zur Erhaltung dieser Lebensräume bei (Putzer et al., 2016), die heute Teil der Südtiroler (und nicht nur der Südtiroler) Kulturlandschaft sind und eine grundlegende und kaum ersetzbare Rolle bei der Erhaltung von Lebensräumen und Arten von gemeinschaftlicher Bedeutung spielen.  

Durch das Treffen mit Sandra und Daniel wurden die Teilnehmer:innen der Exkursion schließlich dazu angeregt, über die Figur des Schäfers als Erbringer von Ökosystemdienstleistungen zu reflektieren, Dienstleistungen, die die Natur zum Nutzen des Menschen erbringt. Die Herde, die auch Schafe und Ziegen umfasst, arbeitet an der Böschung in Ergänzung zu den üblichen Arbeiten des Amts für Wildbachverbauung, das sich aus diesem Grund entschlossen hat, die Initiative zu unterstützen. Durch die Anwesenheit von Ziegen in der Herde wird nicht nur die Höhe des Grases ausgeglichen, ohne dass auf mechanische Mittel zurückgegriffen werden muss, sondern es können auch invasive Neophyten wie die Robinie (Robinia pseudoacacia) eingedämmt werden, eine invasive Neophytenart, die zu den 40 am stärksten invasiven holzigen Angiospermen der Welt gehört (Richardson et al., 2011); Ziegen beschädigen durch ihr Fressen auch die Rinde und schwächen ihre Ausbreitung: eine kontinuierliche Beweidung über die Jahre hinweg kann daher zu einem Rückgang dieser Arten führen (Stumpf 2002; Zehm 2004 und 2008). Außerdem verdichtet die Herde durch das Zertrampeln der Hufe den Böschungsboden und macht ihn weniger anfällig für Erosion. Die Beibehaltung einer geringen Beweidung begünstigt dagegen die Entstehung von Uferlebensräumen, da Sträucher und dichtes Schilfdickicht (sofern vorhanden) aufgelockert werden. Seinerseits kann dies wiederum die Ansiedlung von für diese Lebensräume typischen Arten fördern.

„Nature-based solutions“ werden gefördert

Solche “nature-based solutions” werden in einigen europäischen Ländern bereits für nachhaltiges Umweltmanagement anerkannt und belohnt. So werden in Bayern Maßnahmen von Landwirten und Züchtern zur Erhaltung, Verbesserung und Schaffung von ökologisch wertvollen Lebensräumen gefördert, während in Sachsen die Beweidung der Ufer mit Herden anderen Maßnahmen, wie der Pflege mit technischen Geräten, per Gesetz vorgezogen wird. In Österreich wird eine Prämie für die nachhaltige Bewirtschaftung von Almen gewährt; in Südtirol gibt es ebenfalls Prämien für die Landschaftspflege. Hier besteht jedoch noch einiges Potenzial z.B. hinsichtlich einer Vertiefung des Vertragsnaturschutzes. Dies könnte die Rolle der Hirt:innen auch auf ökonomischer Ebene deutlich aufwerten, da es deren Leistungen im Sinne des Natur- und Landschaftsschutzes unterstreichen würde. 

Damit diese Maßnahmen jedoch eine signifikante Auswirkung auf die biologische Vielfalt haben können, ist es unerlässlich, dass Hirt:innen im Hinblick auf das Hüten der Herde und die gezielte Weideführung  angemessen geschult werden, sowohl durch theoretische Kurse als auch durch praktische Erfahrungen, die mit anderen Hirt:innen geteilt werden – um Tradition weiterzugeben und sie zu erneuern.

Photo Credit: Valeria


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