Buchrezension – Eine neutrale Darstellung des Beutegreifers

Buchtipp von Doris Kriegsherr – Meinungsbeitrag

Ich lernte Henryk Okarma im Februar 2022 im Rahmen des Goldschakalprojektes in Polen kennen. Er gilt als einer der führenden Wolfsexperten weltweit und war Teil eines europäischen Teams, welches sich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Österreich (Universität für Bodenkultur, Wien), Ungarn (Universität Kaposvar) und Polen (Akademie der Wissenschaften, Krakau) zusammensetzte, die zusammentrafen um sich mithilfe unterschiedlicher Methoden auf die Suche nach Goldschakalen zu machen. Eine der Methoden war der Präsenznachweis mittels auf Goldschakal-Losung trainierten Hunden, bei der ich mit meiner, vom Verein NATURSCHUTZHUNDE trainierten und zertifizierten, Hündin Teil des drei- (bzw. sechs-) köpfigen Scatdog-Teams sein durfte. Einen Einblick in das Goldschakalprojekt gibt ein kurzes Video.

Handbuch Wolf

Bei einem der abendlichen Vorträge erfuhr ich von Henryk´s Buch „Handbuch Wolf“, dass er 2019 in Zusammenarbeit mit Sven Herzog, einem namhaften Wildtierbiologen, verfasste und als umfassendes wissenschaftliches Grundlagenwerk zum Thema Wolf gilt. Es basiert auf einer Monografie Okarmas aus dem Jahr 2014 und stellt den Wolf aus verschiedenen Perspektiven vor. Polen liegt bei naturwissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Wolf europaweit weit vorne und das Buch gibt einen Einblick in die intensive Forschungsarbeit der polnischen Wolfsforschung.

Die ersten fünf Kapitel befassen sich mit allgemeinen Grundlagen wie Phylogenese und Taxonomie, Verbreitungsgebiet und Lebensraum, Morphologie und Anatomie sowie Verhalten. Hierbei kommen viele Fotos, Grafiken, Karten und Tabellen zum Einsatz, angeführte Informationen werden durch wissenschaftliche Studien belegt. Beim Lesen bekam ich den Eindruck eines besonders verständlich geschriebenen Studienbuches.

Wolfs-Management sowie Mensch und Wolf sind die Inhalte der nächsten beiden Kapitel. Für beide Autoren ist die zentrale Aufgabe des Wolfsmanagements die Sicht der Menschen auf den Wolf zu verändern bzw. seine Akzeptanz herzustellen. Mit den Worten der beiden Wissenschafter: „Wenn es uns gelingt, den Wolf nicht mehr als ideologisch überlagert, sondern als faszinierendes, aber letztlich normales Wildtier in seinem Lebensraum mit allen positiven und negativen Konsequenzen seiner Existenz zu sehen, hat dieses Handbuch sein Ziel erreicht.“

Konflikte mit menschlichen Interessen sowie Instrumente des Managements mit ihren Vor- und Nachteilen werden vorgestellt.

Dazu ein Beispiel:

In der Weidetierhaltung können Risse durch Wölfe für Halterinnen und Halter ökonomische Verluste in enormen Höhen verursachen. Meist erfolgen Kompensationszahlungen jedoch nur, wenn spezielle Zäune zum Schutz der Tiere errichtet wurden. Sollte es einem Wolf dennoch gelingen den Zaun zu überwinden, ist damit ein großes Maß an Tierleid durch getötete oder schwer verletzte Weidetiere verbunden. Der Wolf tötet diese Tiere nicht immer sofort. Grund dafür ist der extrem hohen Reizsituationen und den Beutereflexen des Wolfes zuzuschreiben. Diese führen nicht nur zur Tötung eines einzelnen sondern einer großen Zahl an Tieren, da es für die Weidetiere durch den Zaun kein Entkommen gibt. In der Natur ist dies unüblich, da erlegt der Wolf ein Tier, welches er komplett frisst bzw. Teile für Welpen mitnimmt und der Rest der Herde kann fliehen. Ein Zaun alleine bietet der Herde daher unter Umständen einen unsicheren Schutz. Sollten sich hinter dem Zaun jedoch mehrere Herdenschutzhunde befinden, ist dies für den Wolf bedeutend abschreckender und er wird es sich sehr genau überlegen, ob er in diesen Zaun hinein möchte.

Das „Handbuch Wolf“ erzielt einen neutralen Beitrag zum derzeit heftig geführten Diskurs, wertet und emotionalisiert nicht. Es wendet sich nicht nur an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sondern ebenso an Menschen, die sich für Tierwohl, Tierhaltung, Naturschutz, Landwirtschaft, Forst, Jagen oder Politik einsetzen und ermöglicht allen Interessierten sich eine fundierte Meinung zum Thema Wolf zu bilden.

Doris Kriegsherr ist Mitglied des Vorstandes beim Verein NATURSCHUTZHUNDE und fungiert als Projektmanagerin des LIFEstockProtect Teil-Projektes zur Ausbildung von Mensch-Hund-Teams für das Auffinden von Losungen großer Beutegreifer.

Handbuch Wolf, Henryk Okarma, Sven Herzog, Kosmos Verlag, Stuttgart 2019

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