Behirtung mit Herdenschutzhunden am Stilfser Joch

Mit seinen grünen Wiesen und weißen Berggipfeln bis auf 3905 m Höhe grenzt der Nationalpark Stilfser Joch im Norden unmittelbar an den Schweizer Nationalpark Engadin im Kanton Graubründen. Im Süden wird er durch das Valcamonica vom lombardischen Naturpark Adamello und vom Val di Sole vom den Naturpark Adamello Brenta in Trentino getrennt. Er umfasst große Teile der Ortler Alpen und ist bei Wandererinnen und Wanderern, Moutainbikerinnen und Mountainbikern und Gästen als eines der beliebtesten Erholungs- und Freizeitgebiete der Alpen bekannt.

Es halten sich aber nicht nur Gäste im Nationalpark auf. Verschiedene Almen werden nach wie vor traditionell bewirtschaftet. Es wird Milch von Kühen und Ziegen verarbeitet. Die Molke wird an weidegehaltenen Schweine verfüttert. Es gibt Rinder und Schafe. Bisher war es üblich, die Weidetiere die meiste Zeit unbeaufsichtigt zu lassen, aber dieses Jahr hat sich der Almmeister zusammen mit 45 verschiedenen Auftreiberinnen und Auftreibern entschlossen, auf eine geführte Weideführung mit Hirten und Hirtinnen und Hunden zu setzen.

Dies ermöglicht eine gezielte Beweidung der Flächen für den Erhalt der touristischen Attraktion der Landschaft, der Almen und Almwirtschaft und einen erhöhten Schutz für die Weidetiere vor Krankheiten, Gefahren im Gelände und mögliche Risse von Beutegreifen.

Auf Grund der hohen Wolfsdichte in der direkt angrenzenden Schweiz und in Italien haben sich in den letzten Jahren die Wolfssichtungen und Risse erhöht. Dies war ein weiterer Anlass, den Schritt Richtung geführte Beweidung zu gehen und ebenfalls auf das im italienischen Tourismus und Naturschutzgebiet Majella erfolgreiche Einsatzkonzept mit Hunden zurückzugreifen.

Seit Mai werden nun rund 400 Schafe und Ziegen, die vor allem die Verbuschung in Schach halten, von einer Hirtin mit vier Hütehunden und sechs Herdenschutzhunden im Nationalpark Stilfser Joch geführt. Die Hütehunde helfen der Hirtin bei der täglichen Wanderung mit der Schafherde, die gemischte Herde zusammen zu halten und in die gewünschten Flächen zum Abweiden zu lenken.

Die Herdenschutzhunde, die eigentlich viel besser Schaf-Hunde zu nennen wären, sind in dem Fall sogenannte Cane de Pastore Maremmano Abruzzese Hunde, groß gewachsene Tiere, mit weißem, mittellangen Fell. In der Schafherde fallen sie den Touristen kaum auf. Aufmerksam und eigenständig nehmen die Hunde ihre Umgebung wahr. Ihr natürlicher Instinkt erkennt schnell, ob Gefahr droht. Ihre Sozialisierung und ihr Charakter entscheidet schnell, dass weder die vielen begeisterten Mountainbiker noch Wanderer mit Kindern und Familienhunde in der Regel die Sicherheit ihrer Schafherde gefährden. Neugierig beobachten sie die Menschen und begegnen diesen freundlich und respektvoll, wenn sich ihnen ebenfalls freundlich und respektvoll genähert wird.

Dieses Verhalten der Hunde erstaunt viele, mutet man den Hunden irrtümlicherweise ein aggressives Auftreten allem gegenüber zu, was sich ihnen nähert. Doch diese Hunde schützen hauptsächlich mit und durch ihre Präsenz die ihnen anvertraute Herde vor Rissen von Wölfen, Bären, wilden Hunden, Füchsen oder Krähenattacken. Ihre Größe, ihr selbstbewusstes Auftreten, das kontinuierliche Markieren ihres Territoriums, ihre eigenständige strategische Verteilung in der und um die Herde, tragen maßgeblich zu ihrer abschreckenden Wirkung auf Beutegreifer bei, während sie den Touristen gegenüber freundlich auftreten.

Diese Wirkungen kann bisher auch die Hirtin bestätigen, die die Herde in einen enggesteckten Nachtpferch treibt, sofern das steile Gelände zwischen der Oberen Stilfser Alm und dem Skigebiet Sulden es zulässt. Beschützt werden sie auch in der Nacht von den sechs Maremmano Abruzzese Hunden. Diese Hundegruppe setzt sich aus drei erfahrenen und geprägten Hunden sowie drei jüngeren Hunden zusammen. Die Hirtin selber schläft in unterschiedlich ausgestatteten Hütten, die ihr zur Verfügung gestellt werden. Einige von diesen stammen noch aus der Zeit als Behirtung die Regel war und andere wurden eigens neu errichtet. Nicht immer ist Wasser in der Nähe, was durchaus auch mit dem Klimawandel und der damit verbundenen Trockenheit in den Bergen verbunden ist. Durch den warmen Sommer gibt es vermutlich sehr viele Schlangen, denen die Schafe ebenfalls zum Opfer fallen. So reiht sich eine Herausforderung an die nächste.

Erfreulicherweise scheint sich zumindest die Unsicherheit zu legen, ob sich überhaupt genügend Tiere von heimischen Auftreiber für die nächste Sommersaison finden lassen werden, denn nach jahrelangen Rissen ist das Interesse an der Behirtung nach diesem bisher erfolgreichen Sommer wieder gestiegen. Fragt man die Hirtin nach den Hunden, so sagt sie: ” Meine Hunde helfen mir am meisten und machen den wenigsten Aufwand. Abends füttere ich sie und zwischendrin kommen sie zu mir und lassen sich streicheln.”

Bei den anstehenden Exkursionen haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, mehr über die Almwirtschaft und das Leben von Schäferinnen und Hirten sowie dem Zusammenspiel von Tourismus und Landwirtschaft zu erfahren. Außerdem können sie den Einsatz von Hunden zur Lenkung und zum Schutz der Herde hautnah erleben – allerdings nur nach vorheriger Anmeldung und Teilnahmebestätigung.

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