Chancen und Fragen beim Herdenschutz in Südtirol

Foto: Klemens Villgrattner

Südtirol, Sommer 2021. Wolf und Goldschakal sind weiter auf dem Vormarsch. Zwischen Mai und September wurden landesweit über 170 Schafe und Ziegen gerissen. Die Stimmung ist wie in den Jahren zuvor angespannt. Doch in diesem Jahr haben acht Almen den Versuch gestartet ihre Herden auf den Sommerweiden zu schützen – mit ständiger Behirtung und nächtlichem Einpferchen. Mit Unterstützung der Fachstellen der Provinz Bozen wurden Zäune und Pferche angekauft und errichtet, und Hirten betreuten täglich das Weidevieh. Fazit: Ca. 2.500 der 40.000 in Südtirol gealpten Schafe und Ziegen waren im Sommer von einem Hirten beaufsichtigt und konnten bis auf wenige Ausnahmen vor Wolfsübergriffen bewahrt werden.

Was hier durchaus vielversprechend klingt, muss auch kritisch betrachtet werden. Beim Hirtentag in Salern (wir haben hier berichtet), wirft ein Herdenschutz-Fachberater der Provinz Bozen einige Sorgen und Fragen von Almbewirtschaftern, Viehhaltern und -züchtern auf, wie:

Wer soll den Mehraufwand bezahlen?

Kann man kleine Privatalmen überhaupt schützen?

Wie geht man mit dem Argument wolffreie Almen um?

Und liefert einige Fakten zur Situation im Lande: Vielerorts fehlen geeignete Unterkünfte für Hirten, oder sie sind in einem schlechten Zustand. Hirten sind rar, ausgebildete Hütehunde noch mehr, und das Thema Herdenschutzhunde ist ein allgemeines No-Go.

Tatsachen und offene Fragen, die auch in anderen Alpenregionen, darunter in Österreich und Bayern von ähnlicher Brisanz sind.

Doch es geht nach vorne, und verschiedenste Institutionen und Vereine arbeiten an lokalen und internationalen Lösungen und Verbesserungen. In Südtirol, zum Beispiel, startet die landwirtschaftliche Fachschule Salern im Februar 2022 mit einer Hirtenausbildung (mehr dazu hier), die mit einer offiziellen Berufsanerkennung abgeschlossen werden kann. Die Herdenschutz-Kurse mit Modulen zu Hüte- und Herdenschutzhunden starten im kommenden Frühjahr im Rahmen von LIFEstockProtect. Und die Südtiroler Landesverwaltung will konkrete Vorhaben zum Herdenschutz weiterhin unterstützen.

Neben diesen technischen Problemen spricht der Fachberater aber auch die wahrscheinlich größte Herausforderung an: den Faktor Mensch. „Es ist immer schon so getan worden“, „Es muss so bleiben wie es ist“, sind Aussagen, denen man in den Diskussionen rund um Herdenschutz allzu oft begegnet. An den Menschen mit ihren verschiedenen Meinungen und Realitäten muss am meisten gearbeitet werden. Gebräuche neu denken (müssen) und anpassen (müssen oder wollen). Dies ist die wohl größte Herausforderung, die nicht nur mit technischen Vorschlägen gelöst werden kann. Und es braucht Zeit. Es gilt, Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Das ist entscheidender denn je, will man die Alpung und insbesondere die Kleintierhaltung unterstützen. Der Wille zu Anpassung muss dabei aber nicht nur von den Bauern selbst kommen, auch die Rahmenbedingungen müssen entsprechend angepasst werden. „Wir löschen erst, wenn’s brennt“, so spricht der Fachberater in Salern. Dies ist leider noch zu oft die Realität. Die ersten vorsichtigen Schritte in die richtige Richtung sind gemacht: Herdenschutz kann nicht nur ein Problem, sondern auch eine neue Chance sein. In den kommenden Jahren muss weiterhin dahin gearbeitet werden. Gezielte Beweidung und Aufsicht mit einem Hirten verbessern das Tierwohl, die Qualität der Weide und gibt einem der ältesten Berufe der Welt seinen Wert und jene Anerkennung zurück, welche ihm angesichts des Einsatzes für Landschaft, Tierwohl und Erhalt ursprünglicher Bewirtschaftungsformen verdient. Die acht Almen können dabei ein großes Vorbild sein, obwohl auch hier erst ein erster Anfang gemacht ist.

Mehr Informationen zum geführten Weidegang im Projekt LIFEstock Protect hier.

Quelle: Amt für Bergwirtschaft, Autonome Provinz Bozen; Amt für Jagd und Fischerei, Autonome Provinz Bozen

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